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Die Signifikanzschwelle des Bundesnaturschutzgesetzes

Messungen zur Flughöhe mit Hilfe eines LaserRangeFinders, mit dem für Mäusebussarde bis zu einer Entfernung von
ca. 1.800 m Flughöhe und Position genau vermessen werden kann.

Dr. Matthias Schreiber

Mit der Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 20. Juli 2022 hat der Gesetzgeber in § 45b Abs. 3 bestimmt: „Liegt zwischen dem Brutplatz einer Brutvogelart und der Windenergieanlage ein Abstand, der großer als der Nahbereich und geringer als der zentrale Prüfbereich ist, die in Anlage 1 Abschnitt 1 für diese Brutvogelart festgelegt sind, so bestehen in der Regel Anhaltspunkte dafür, dass das Tötungs- und Verletzungsrisiko der den Brutplatz nutzenden Exemplare signifikant erhöht ist“. Umgekehrt geht der Gesetzgeber ab dieser Grenze davon aus, dass ein solches Risiko in der Regel nicht mehr besteht. Ob beabsichtigt oder nicht: Der Bundestag hat damit gleichzeitig auch eine quantitative Schwelle für das bisher unbestimmte Merkmal der Signifikanz nach § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG festgelegt. Um nicht missverstanden zu werden: Nicht die äußeren Grenzen des Nahbereichs oder des zentralen Prüfbereichs sind die Signifikanzschwelle, aus ihnen lässt sie sich jedoch ableiten.

Denn unter Anwendung probabilistischer Methoden, mit denen man aus der vertikalen und horizontalen Verteilung der Flugaktivitäten sowie saisonalen und tageszeitlichen Aktivitätsdaten von kollisionsgefährdeten Vogelarten die Aufenthaltswahrscheinlichkeit im Gefahrenbereich einer Windkraftanlage (WKA) ermittelt, lässt sich für die Grenze zwischen dem zentralen Prüfbereich und den erweiterten Prüfbereich errechnen, wie hoch das Risiko ist, durch eine dort platzierte WKA erschlagen zu werden (Einzelheiten siehe hier). Dieses Risiko ist in Relation zum allgemeinen Lebensrisiko zu setzen, welches das Bundesverwaltungsgericht zur Richtschnur für die rechtliche Risikobeurteilung bei Vorhaben gemacht hat. Danach ergibt sich für den Rotmilan, für den bisher die beste Datenbasis zur Beurteilung der Flugaktivitäten veröffentlicht ist, eine Verdopplung der natürlichen brutzeitlichen Altvogelmortalität (nbA) für die Entfernungsklasse bis 1.250 m. Folgerichtig hat der Gesetzgeber mit der äußeren Grenze des zentralen Prüfbereichs gleichzeitig auch die Verdopplung der nbA als Signifikanzschwelle zugelassen.

Da es für die Feststellung des Verbotstatbestandes nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG artunabhängig auf eine individuenbezogene Betrachtung ankommt, ist über die gesetzliche Festlegung auch die Signifikanzschwelle für alle übrigen kollisionsgefährdeten Vogelarten (und Fledermausarten) gesetzt. Darüber hinausgehende Vermeidungsmaßnahmen oder eine artenschutzrechtliche Ausnahme sind im Kontext des gesetzlichen Artenschutzes nicht erforderlich.

Für Populationsbiologen und Artspezialisten stellt sich nun die Aufgabe einer Folgenabschätzung:

Wie wirkt sich der geplante WKA-Zubau (in Verbindung mit dem bereits erfolgten Ausbau) auf die Populationen der verschiedenen kollisionsgefährdeten Vogelarten aus, wenn die nbA für den Gesamtbestand oder Teile davon (anteilig am Gesamtbestand; für bestimmte Regionen) durch den Betrieb von WKA verdoppelt werden darf und durch Maßnahmen auch nicht unter diesen Wert abgesenkt werden muss?

Sondersituation Nahbereich (nach Anlage 1 zu § 45b Absatz 1 bis 5, Abschnitt 1 BNatSchG)

Damit sind die Folgen der gesetzlichen Neuregelung noch nicht ausreichend umrissen. Nach § 45b Abs 2 BNatSchG gilt: „Liegt zwischen dem Brutplatz einer Brutvogelart und der Windenergieanlage ein Abstand, der geringer ist als der in Anlage 1 Abschnitt 1 für diese Brutvogelart festgelegte Nahbereich, so ist das Tötungs- und Verletzungsrisiko der den Brutplatz nutzenden Exemplare signifikant erhöht.“ Der hier verwendete probabilistische Ansatz lässt für den Rotmilan eine Abschätzung zu, in welchem Umfang das anlagenbedingte brutzeitliche Zusatzrisiko die nbA übersteigt: Für Anlagen bis 250 m zum Nest wird die nbA um den Faktor 11,6, für Anlagen zwischen 250 und 500 m um den Faktor 3,3 überschritten.

Zutreffend geht der Gesetzgeber daher im Nahbereich auch von einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos aus, für die vor einer Genehmigung Vermeidungsmaßnahmen und ggf. eine artenschutzrechtliche Ausnahme erforderlich werden. Da der Gesetzgeber in § 45b Abs. 9 BNatSchG bei Ausnahmen im Nahbereich für Vermeidungsmaßnahmen aber eine gesetzliche Zumutbarkeitsgrenze festgelegt hat, die für windarme Standorte höchstens 4 % des Jahresenergieertrages umfassen darf, bleibt die Erhöhung des Mortalitätsrisikos – ausgerechnet im Nahbereich einer Anlage – nicht nur verdoppelt. Selbst bei Konzentration der Abschaltungen auf besonders risikoreiche Phasen der Brutsaison lässt sich das kollisionsbedingte Risiko für den Rotmilan im Nahbereich nur um ca. 30 % senken, womit bei einer Anlage bis 250 m zu einem Nest eine Erhöhung der nbA um den Faktor 8,0, für den Bereich zwischen 250 und 500 m um 2,2 verbleibt.

Allerdings sind bei den 4 % auch die weiteren Schutzmaßnahmen für andere besonders geschützte Arten zu berücksichtigen (§ 45b Abs. 9: „unter Berücksichtigung weiterer Schutzmaßnahmen auch für andere besonders geschützte Arten“). Dazu gehören etwa die Fledermäuse. Aus der Gesetzesbegründung geht hervor, dass für diese Artengruppe offensichtlich ein Anteil von 2,5 % angesetzt wird, der in Genehmigungsverfahren üblicherweise „reserviert“ ist. Stehen daher nur 1,5 % des Jahresertrages für Abschaltungen z.B. zugunsten des Rotmilans zur Verfügung, so lässt sich damit maximal eine gut 10%ige Reduktion des Kollisionsrisikos erreichen. Es bleibt so im Nahbereich bei einer Anlage bis 250 m zu einem Horst eine Erhöhung der nbA um den Faktor 10,4, für den Bereich zwischen 250 und 500 m um 2,9, für den ein Antragsteller dann eine Ausnahme beanspruchen darf.

Auch hier steht die Populationsbiologie vor der Aufgabe einer Folgenabschätzung:

  • Wie wirkt sich der geplante WKA-Zubau (in Verbindung mit dem bereits erfolgten Ausbau) auf die Populationen der verschiedenen kollisionsgefährdeten Vogelarten aus, wenn die nbA für den Gesamtbestand oder Teile davon (anteilig am Gesamtbestand; für bestimmte Regionen) durch den Betrieb von WKA im Nahbereich – unter Berücksichtigung der zumutbaren phänologiebedingten Abschaltungen – im genannten Umfang gesteigert werden darf?

Wie wirkt sich die ggf. vollständig fehlende Vermeidung von Kollisionen auf Fledermausbestände aus?

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